Das letzte Web-Seminar im Jahr 2020 stand unter dem Motto „Mind the User – Nutzer:innenzentrierung als Erfolgsfaktor bei nachhaltigen Produkt- und Serviceinnovationen“. Die Veranstaltung begann mit einem Vortrag zum Thema „Nutzer:innen im Zentrum nachhaltiger Produkt- und Serviceinnovationen“ von Daniela Kattwinkel und Dr. Michael Herzog (beide Ruhr-Universität Bochum).
Daniela Kattwinkel stellte zunächst das 2018 ins Leben gerufene Projekt des Bochumer Lehrstuhls für Produktentwicklung „EcoING“ vor. Ziel des Projektes ist die Entwicklung einer Ecodesign-Lernfabrik für die universitäre Ingenieursausbildung, welche für innovative Lehrveranstaltungen und Weiterbildungen im Kontext der ökologischen Produktentwicklung genutzt werden soll. Danach grenzte sie die zentralen Ziele der klassischen Produktentwicklung, wie Wirtschaftlichkeit, Funktionalität, Ästhetik und Sicherheit vom Ecodesign und dem sustainable Design ab. Das Ecodesign weist zusätzlich zu den Faktoren der klassischen Produktentwicklung eine ökologische Dimension auf, während das sustainable Design dazu noch umfassender auf soziale und ethische Aspekte eingeht. Generell ist die Produktentwicklung von großer Bedeutung, da hier die Umweltwirkungen eines Produktes festgelegt werden. Jedoch hängen die Handlungsmöglichkeiten der Entwickler:innen von der Informationsverfügbarkeit über weitere Lebenszyklusphasen ab. Gerade bei vielen technischen Produkten ist die Nutzungsphase diejenige Phase, in der die meisten Umweltwirkungen verursacht werden. Hier stellt sich die Frage, wie man in der Produktentwicklung gezielt die Prozesse der Nutzungsphase beeinflussen kann.
Kattwinkel ging auf das allgemeine Modell des Nutzer-Produkt-Systems[1] ein. Nach Wiese et al. (2004) ist zunächst das System zu bestimmen, in welchem das nicht umweltgerechte Verhalten aufkommt. Dies ist meistens nicht nur auf die Nutzer:innen, das Produkt oder die Aufgabe zurückzuführen, sondern auf eine „mangelnde Passung der Komponenten“. Von großer Bedeutung sind dabei vor allem die Nutzungsprobleme, die zwischen Nutzer:in und Produkt auftreten.
Anhand des Beispiels Waschmaschine zeigte sie auf, dass Nutzer:innen aufgrund von Unwissenheit ökologisch fahrlässig handeln und zum Beispiel die Menge an Waschmittel deutlich zu hoch dosieren oder eine viel zu hohe Waschtemperatur auswählen. Dabei haben alle Entscheidungen, die die Nutzer:innen treffen einen Einfluss auf die Umweltauswirkungen des Produktes oder Systems. Häufig wissen die Nutzer:innen jedoch nicht, wie sie ein Produkt umweltfreundlich bedienen. In einer von Kattwinkel durchgeführten Studie konnten über 70 Einflussfaktoren identifiziert werden, die sich auf die Umweltwirkungen während der Nutzung auswirken[2]. Vorgestellt wurden hier Faktoren wie Alter, Umweltmotivation oder Qualifikation der Nutzer:innen, das Nutzungsverhalten (z.B. Häufigkeit, Dauer, Bediendauer) oder das spezielle Nutzungsverhalten für ein Produkt (z.B. Verwendung von Funktionen oder Einstellungen).
Heutzutage gibt es viele verschiedene Methoden und Werkzeuge aus Forschung und Praxis, um die Umweltwirkungen von Produkten zu analysieren, zu quantifizieren oder zu reduzieren (z.B. Life Cycle Assessment, Umwelt-FMEA, MET-Matrix, verschiedene Eco-Design Prinzipien). Diese sind jedoch bisher kein immanenter Bestandteil der Produktentwicklung in Unternehmen und werden noch nicht flächendeckend eingesetzt. Dabei zeigen einige Beispiele aus der Praxis wie man nachhaltige Konzepte in Produkten umsetzen kann, um damit die Umweltwirkungen während der Nutzung zu reduzieren. Ein Beispiel ist die i-Dos Dosier-Automatik für Waschmaschinen von Siemens[3], die mittels intelligenter Sensoren sowohl die Textilart, Beladungsmenge sowie den Verschmutzungsrad der Wäsche erkennt, um die richtige Menge an Waschmittel und Wasser präzise zu ermitteln. Weitere Strategien, die zur Reduzierung der Fehlnutzung und damit zur Verringerung der Umweltwirkungen in der Nutzung führen können, sind z.B. Feedback-Mechanismen im Produkt, die den Nutzer:innen den Verbrauch an Energie oder Ressourcen anzeigen, um damit die ökologischen Auswirkungen der Entscheidungen in der Nutzung zu verdeutlichen. Bei der Implementierung solcher Strategien ist immer die Frage, ob eine Reduzierung der Umweltwirkungen in der Nutzungsphase auch die Umweltwirkungen des Produktes über den gesamten Lebenszyklus reduziert. So kann beispielsweise die Verwendung von Sensoren zu erhöhten Auswirkungen in der Herstellung oder dem Recycling führen.
Nach dem Vortrag gab es eine virtuelle Podiumsdiskussion. Auf dem Podium begrüßten die Moderator:innen Svenja Grauel (Projektleiterin Prosperkolleg) und Paul Szabo-Müller (Leiter Qualifizierungsbedarfe Prosperkolleg) Jessica Buchta (Gründerin Mehrwegverpackung) und Julius Piwowar (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie) sowie die beiden Vortragenden.
Julius Piwowar, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Produzieren und Konsumieren, berichtete von seinen Erfahrungen am Wuppertal Institut. Dort spielt die praktische Perspektive auf Produkte eine wichtige Rolle. Hierfür wird Living-Lab-Forschung betrieben und Produkte werden auf Akzeptanz und Usability getestet. Auf die Frage, ob es nur inkrementelle Verbesserungen sein sollten oder sozio-kultureller Wandel stattfinden muss, lautete die Antwort, dass es vor allem um visionäre Konzepte gehe. Die Nutzer:innen können sich zukünftige Szenarien nicht unbedingt vorstellen. Die Menschen wünschten sich damals ein schnelleres Pferd und kein schnelleres Auto.
Piwowar berichtete weiter, dass die Nutzer:innenzentrierung eigentlich aus der Software-Entwicklung stamme. Da können Prototypen einfach getestet werden. Natürlich ist es deutlich schwieriger diese agilen Ansätze auf die physische Welt zu übertragen. Ein weiteres Problem ist dann noch die Akquise von Nutzer:innen. Noch schwieriger wird es bei saisonalen Produkten wie zum Beispiel Heizungen.
Von den Schwierigkeiten, ein Mehrwegverpackungssystem für den Onlinehandel zu entwickeln, berichtete Jessica Buchta. Der Aufbau eines Mehrwegsystems erfordert die Betrachtung aller User:innen in diesem. Beginnend bei Onlinehändler:innen, die die Verpackung in der Logistik nutzen, über KEP-Dienstleister:innen, die sie transportieren, bis zu den Endkonsument:innen, die die Verpackung empfangen und zu einer Abgabestelle bringen. Alle Nutzer:innen müssen berücksichtigt werden. Jede:r von ihnen hat dabei andere Anforderungen und Wünsche, welche miteinander gekoppelt werden müssen. Deshalb ist es wichtig, sich in die verschiedenen Perspektiven hineinzuversetzen. Die Aufgabe der Entwickler:innen ist es dabei, gut zu zuhören, denn der:die Kunde:in hat häufig kaum Innovationskraft und Motivation, selbst zu entwickeln. Ein häufiges Problem bei umweltfreundlicheren Lösungen ist, dass eine Verhaltensänderung bei Endverbraucher:innen stattfinden muss, also, dass z.B. die Versandverpackung nach der Benutzung nicht wie gewöhnlich im Müll entsorgt wird, sondern zurückgebracht wird, damit diese in den Kreislauf zurückgeführt wird. Für die Rücknahme der Versandverpackung sind Interaktion mit den End-User:innen sowie ein gutes Community Management wichtig. Eine Mehrwegverpackung sollte im Idealfall immer befüllt sein bzw. eine hohe Nutzungsauslastung haben, wodurch der Versand eigener Produkte von Kund:innen oder Märkte mit hohen Retouren sinnvoll sind. Der Second-Hand-Markt wird zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen, aber auch das Tauschen, Mieten und Teilen, weshalb dieses Szenario nicht unrealistisch ist.
[1] Wiese, B. S., Sauer, J., Rüttinger, B. (2004). Umweltgerechte Produktentwicklung: Konzepte, Befunde und Perspektiven eines interdisziplinären Forschungsprojektes. Umweltpsychologie, 5 (1), 52-68.
[2] Vgl. Kattwinkel, D., Herzog, M., Neumann, M. and Bender, B. (2017). Environmental impacts during the product usage: identification and categorization of influencing factors. In 21st International Conference on Engineering Design (ICED17): Vancouver, Canada, 21-25 August 2017, pp. 199–208.
[3] Siemens: https://www.siemens-home.bsh-group.com/de/produkte/waeschepflege/idos