Unter dem Motto „Wer zahlt bestimmt die Musik“ wurde in einem gemeinsamen Web-Seminar der EnergieAgentur.NRW und des Prosperkollegs das Thema nachhaltige Beschaffung in Kommunen in den Fokus gerückt, denn vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels und zunehmenden Ressourcenverbrauchs kann und muss auch die öffentliche Hand einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, um einen nachhaltigen Transformationsprozess in Gang zu setzen.
Den Einstieg in die Veranstaltung machte Svenja Grauel, Projektleiterin des Prosperkollegs, die eine kurze Einführung in das Thema Zirkuläre Wertschöpfung gab. Anhand der Grafik des sog. Value Hills skizzierte sie, wie durch die Kreislaufführung von Produkten und Materialien der Wert von Rohstoffen erhalten und gleichzeitig der CO²-Fußabdruck von neuen Produkten verringert werden kann. So zeigte sie auf, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine Frage des Einsatzes von erneuerbaren Energien ist, sondern dass die Herkunft und weitere Verwendung von Rohstoffen nach der Nutzungsphase ebenfalls einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf den CO²-Fußabdruck von bspw. Büromöbeln, Computerhardware und Gebäuden haben. In der Praxis sei es aber gar nicht so leicht, Produkte nach zirkulären Kriterien auszuwählen und zu beschaffen, wie eigene Erfahrungen am Standort Prosper III gezeigt hätten.
Im Anschluss beschrieb Lorena Zangl (Referentin Städte & Kommunen, Cradle to Cradle NGO) die politische Relevanz nachhaltiger Beschaffung von Kommunen und öffentlichen Einrichtungen sowie deren Bedeutung und Hebelwirkung für das Erreichen der deutschen Nachhaltigkeitsziele. Alleine in Deutschland beträgt das jährliche Beschaffungsvolumen schätzungsweise 350 Milliarden Euro (europaweit sind es ca. 18% des gemeinsamen europäischen BIPs). Anhand dieser unvorstellbar großen Zahl lasse sich gut die Tragweite der Auswirkungen des Kaufverhaltens der öffentlichen Hand bemessen. Insbesondere die überwiegende Fokussierung auf das Kriterium Preis im Rahmen von Vergabeentscheidungen lasse soziale und ökologische Schäden des linearen Wirtschaftens, sog. externe Kosten, außer Acht. Dementsprechend versucht die Europäische Union neue Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die sich nachhaltige Praktiken im öffentlichen Beschaffungswesen zur neuen Norm entwickeln sollen. So sieht die Europäische Kommission umweltgerechte Beschaffung und grüne Mindestkriterien u. a. im Aktionsplan des European Green Deals sowie der Agenda 2030 explizit vor. Solche Kriterien lassen sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette definieren, bspw. in den Bereichen Materialgesundheit, Kreislauffähigkeit, Sozialstandards oder im Umgang mit Energie und Wasser.
Dass nachhaltige Beschaffung in der Praxis funktionieren kann, zeigt eindrucksvoll die Stadt Ludwigsburg. Lorena Zangl erklärte, dass Ludwigsburg eine der wenigen Kommunen deutschlandweit sei, die ihre Beschaffung bereits seit 2018 nach den Cradle-to-Cradle Prinzipien ausrichtet. Die Stadt gebe auf diese Weise Impulse an Produkthersteller und positioniere sich gleichzeitig als attraktiver und zukunftsfähiger Standort für Unternehmen. Hierfür wurden verschiedene Leitlinien und Vorgaben erarbeitet und so den Beschaffer:innen Sicherheit gegeben, bspw. durch eine entsprechende Dienstanweisung. Anhand des Beispiels der Stadt Ludwigsburg lässt sich beobachten, dass durch die Integration von zirkulären Kriterien in die Beschaffungspraxis positive Begleiteffekte entstehen, bspw. geringere Kosten bei einer Betrachtung des gesamten Produktlebenszyklus, aber auch niedrigere Prozesskosten und ein attraktives Arbeitsumfeld durch die Beachtung der sog. Materialgesundheit.
Das sich auf Lebenszykluskosten basierende Kaufentscheidungen für Kommunen finanziell lohnen, wurde bereits im Jahr 2015 durch das Ökoinstitut e. V. exemplarisch für das Land Berlin empirisch untersucht.
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung zeigte André Siedenberg (Produktgruppenleiter Planungsausschreibungen, Kommunal Agentur NRW GmbH) mit seinem Exkurs in die Regelungsstruktur des Vergaberechts die Spielräume für den Einsatz von nachhaltigen und zirkulären Kriterien in der Beschaffungspraxis auf. Das Vergaberecht solle man sich wie eine Werkzeugkiste vorstellen: Wenn man mit dem Werkzeug darin umgehen könne, dann sei man in der Lage, etwas nach den eigenen Vorstellungen zu schaffen. Je nachdem, ob man sich mit dem Auftragswert des zu beschaffenden Gegenstands oder Dienstleistung in der sog. Unter- bzw. in der Oberschwelle bewege, seien dann in der Praxis unterschiedliche Werkzeuge anzuwenden. An dieser Stelle seien bundeslandspezifische und sich immer wieder ändernde Wertgrenzen besonders zu beachten, da diese das anzuwendende Verfahren regelten.
Ferner räumte André Siedenberg mit dem Mythos auf, dass Nachhaltigkeit ein vergabefremder Aspekt sei. Dieses Gerücht, so Siedenberg, halte sich durchaus hartnäckig. Jedoch sei es in der Tat so, dass Nachhaltigkeitsaspekte auf derselben Stufe wie z. B. die Qualität eines Produkts stünden (siehe § 97 Abs. 3 GWB). Prinzipiell seien aber die allgemeinen Grundsätze des Rechtsgebiets sowie „werkzeugspezifische“ Regeln einzuhalten. Nachhaltigkeit selbst dürfe dennoch kein Selbstzweck sein, sondern müsse immer durch einen entsprechenden Bedarf getrieben werden. Vielmehr sei die klimafreundlichste und ökologischste Beschaffung die, die gar nicht stattfinde. Daher nähme eine gute Beschaffung auch stets Anlagegüter bzw. deren Instandhaltung in den Blick.
"Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt."
§ 97 III Grundsätze der Vergabe (GWB)
Die eigentlichen Vergabeunterlagen bestehen aus einer Leistungsbeschreibung, den zu definierenden Eignungs- und Zuschlagskriterien sowie den besonderen Ausführungsbedingungen. Mithilfe der Leistungsbeschreibung wird grundsätzlich vorgegeben, was beschafft werden soll. Damit wird der Auftragsgegenstand konstruktiv oder funktional beschrieben. In der Leistungsbeschreibung dürfen auch soziale, ökologische oder gar zirkuläre Anforderungen an den Leistungsgegenstand gestellt werden. Ein besonderes Augenmerk sei dabei jedoch auf den Nachweis der Einhaltung der geforderten Standards zu legen. Dieser Nachweis könne bspw. über verschiedenste Gütezeichen erbracht werden. Etablierte Gütezeichen lassen sich mithilfe von online verfügbaren Unterstützungsangeboten identifizieren und vergleichen, bspw. in entsprechenden Übersichtstabellen oder über einen Gütezeichenfinder wie dem Kompass Nachhaltigkeit, der sich explizit an Beschaffer:innen richtet.
Eignungskriterien sind hingegen Anforderungen, die an die potenziellen Bieter gestellt werden, um die Tauglichkeit, den Auftrag erfüllen zu können, zu überprüfen. An dieser Stelle kommen dann auch wieder die Eigenschaften des angewendeten Verfahrens zu tragen. Denn bei einem Verfahren ohne einen Teilnahmewettbewerb sind die aufgestellten Eignungskriterien fixe Grenzen, wohingegen bei einem Teilnahmewettbewerb die Eignung abzustufen sei und schlussendlich Angebote nur von den geeignetsten Bewerbern eingeholt werden. Die Zuschlagskriterien wiederum definieren, wie das wirtschaftlichste Angebot im Verfahren ausgewählt wird. Hierbei spiele dann meist der Preis eine gewichtige Rolle, jedoch können neben dem Preis auch ausdrücklich weitere Aspekte wie z. B. der Ausschluss von toxischen Materialien (Materialgesundheit) oder eine modulare Bauweise (Kreislauffähigkeit) als Zuschlagskriterien definiert werden.
Dennoch ließen die bis dato benannten Praxisbeispiele und die anschließende Diskussion erahnen, dass es noch ein weiter Weg ist, bis eine nachhaltige (oder gar zirkuläre) Beschaffung als Standard etabliert sein wird.
Im Anschluss berichtete Regina Latyschew (Koordination kommunaler Entwicklungspolitik, Kreis Lippe) von verschiedenen Projekten aus dem Kreis Lippe, wie z. B. der Kreishaussanierung unter besonderer Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsansprüchen sowie der Ausstattung der lippischen Rettungseinsatzkräfte mit kreislauffähiger Arbeitskleidung. Sie zeigte gleichzeitig anhand einer im Kreis Lippe durchgeführten Umfrage auf, dass nachhaltige Produkte immer noch nur einen eher geringen Anteil am Gesamtvolumen ausmachen. Als Ursache machten die Beschaffer:innen u. a. mangelnde Information, fehlende rechtssichere Ausschreibungskriterien oder entsprechende Dienstanweisungen sowie einen erhöhten Arbeitsaufwand durch Recherchen aus. Wichtige Schritte auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Regelbeschaffung sei daher vor allem die Qualifizierung der Beschaffer:innen. Gleichzeitig spielt aber auch die Erarbeitung verbindlicher Dienstanweisungen, sowie Checklisten, Leitfäden und Linklisten eine wichtige Rolle, um den Arbeitsaufwand und Unsicherheit zu reduzieren. Die langfristige Verankerung des Themas nachhaltige Beschaffung im Kreis Lippe soll voraussichtlich auch durch die Besetzung einer koordinierenden und beratenden Vollzeitstelle, die dann auch mit Monitoring und Berichtswesen betraut ist, gewährleistet werden. Nur so könne garantiert werden, dass sich die Beschaffungspraxis langfristig verändere und neue Gewohnheiten geschaffen würden.
Die abschließende Rednerin des Vormittags, Dr. Marianne Schönnenbeck (Leiterin der Abteilung Umweltschutz/ Arbeitssicherheit, Rheinzink), räumte gleich im Anschluss mit der Befürchtung der Beschaffer:innen auf, dass es eventuell keine geeigneten Anbieter in der Region Emscher-Lippe gebe.
Die Firma Rheinzink ist ein Hersteller von Dach- und Fassadenelementen aus Zink mit Sitz in Datteln. Der natürliche Werkstoff Zink ist zu 100% recyclingfähig und tatsächlich werde in der Praxis bereits ein Anteil von 95% der eingesetzten Primärmaterialien in den Kreislauf zurückgeführt. Die von Rheinzink angebotenen Produkte sind zusätzlich besonders langlebig und wartungsfrei (durch das sog. Nachwittern, z. B. von Kratzern), weshalb sie über eine gute CO²-Bilanz verfügen.
In der Praxis ließe sich die Nachhaltigkeit der Produkte laut Dr. Schönnenbeck gut anhand verschiedener Zertifikate nachweisen, bspw. anhand von Ökobilanzen (LCA), Umweltproduktdeklarationen (EPD) oder aber durch privatwirtschaftliche Zertifizierungen, wie z. B. C2C oder Ecovadis die das Gesamtunternehmen in den Blick nehmen. Dass nachhaltige und kreislauffähige Materialien auch durchaus „sexy“ sein können, zeigen Referenzobjekte des Unternehmens in den Niederlanden und den USA.
Für Beschaffer:innen empfiehlt Dr. Schönnenbeck in den Ausschreibungstexten zielgerichtet vorzugehen und dort entweder Zertifizierungen wie Ökobilanzen und Umweltproduktdeklarationen oder aber bestimmte Produkteigenschaften vorzuschreiben, die im Rahmen eines zirkulären Wirtschaftssystems gefragt seien. Dazu zählen z. B. der Einsatz unbeschichteter Materialien oder der Verzicht auf Verbundwerkstoffe. Da Rheinzink auch eigene Erfahrungen mit öffentlichen Vergaben gemacht hat, bietet das Unternehmen mittlerweile einen Ausschreibungsservice an, der sich v. a. an Architekten und Planer richtet und Unterstützung bei der selbstständigen Ausschreibung oder individuell angefertigte Ausschreibungen verspricht.
Für die Teilnehmenden des Web-Seminars und alle weiteren Interessierten möchten wir an dieser Stelle noch auf kompetente und themenspezifische Anlaufstellen wie die Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung des BMI sowie das Netzwerk „Cradle to Cradle Regionen“ aufmerksam machen.
Die Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung unterstützt öffentliche Auftraggeber bei der Berücksichtigung von Kriterien der Nachhaltigkeit bei Beschaffungsvorhaben. Hierfür hält die KNB ein umfangreiches Angebot an Schulungen, Beratungen, einer Informations-Hotline sowie weiteren Informationsangeboten wie Praxisbeispielen, Leitfäden und Handlungshilfen bereit.
Das Netzwerk „Cradle to Cradle Regionen“ ist eine Austauschplattform für Expertise und Wissen und richtet sich an Städte und Kommunen, Organisationen oder Unternehmen, die das Thema Cradle to Cradle im kommunalen Kontext umsetzen und vorantreiben möchten. Im Rahmen von regelmäßigen Netzwerkveranstaltungen und thematischen Workshops werden Informationsmaterialien und Hilfestellungen erarbeitet, wie z. B. Leitfäden zur öffentlichen Beschaffung oder Bauen und Sanieren nach C2C-Kriterien.