Zirkuläres Wirtschaften schafft ökologische Chancen durch das gesamte Wirtschaftssystem hindurch. Doch warum wird von Zirkulärer Wirtschaft und nicht Kreislaufwirtschaft gesprochen und was sind Startpunkte für Unternehmen?
Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Häufig tauchen dabei in der öffentlichen oder politischen Diskussion die Begriffe »Kreislaufwirtschaft«, »Circular Economy« oder »Zirkuläre Wertschöpfung« auf. Aber was bedeuten sie überhaupt und mit welchen Strategien können tatsächlich nachhaltige Produkte und Dienstleistungen geschaffen werden?
“Niemand von uns ist ein*e Expert*in für Zirkuläre Wertschöpfung; wir versuchen immer noch sie zu begreifen”, sagte Jun. Prof. Dr. Fenna Blomsma in einer Veranstaltung unseres Projekts Prosperkolleg am 6. Juni 2020. Auch wir lernen täglich im Dialog mit Unternehmen und anderen Wirtschaftsakteuren dazu. Bei unserer eigenen Definition orientieren wir uns an einer vielzitierten Übersichtsstudie, in der mehr als 114 Definitionen für die “Circular Economy” analysiert wurden, und führen Sie mit unseren eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen zusammen. [1] Dabei übersetzen wir Circular Economy mit “Zirkulärer Wertschöpfung”, um uns bewusst vom Begriff der Kreislaufwirtschaft abzuheben und dem Verständnis im internationalen Sprachgebrauch (z.B. in der EU) zu entsprechen.
Werfen wir zunächst einen (zugegebenermaßen vereinfachten) Blick auf die Ausgangslage: Im aktuellen Wirtschaftssystem endet die Wertschöpfung von produzierenden Betrieben meist mit dem Verkauf eines Produktes, das aus vorher gewonnenen Rohstoffen hergestellt wurde. Nach einer häufig (zu) kurzen Nutzungsdauer erfolgen dann die Entsorgung und Verwertung, die nicht immer korrekt bzw. optimal verlaufen (z.B. Fehlwürfe, illegale Müllexporte).
Das Konzept der Zirkulären Wertschöpfung rückt den gesamten Produktlebenszyklus und das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk in den Fokus. Es beschreibt ein nachhaltiges Wirtschaftssystem, das auf Geschäftsmodellen basiert, die das oben genannte „Wegwerfkonzept“ ersetzen. Dies geschieht durch zentrale Strategien wie Vermeiden und Verringern, länger Nutzen, Weiter- und Wiederverwenden, Recyceln und Rückgewinnen von Materialien in Abbau, Produktion, Distribution und Konsum. Dabei erfolgen alle Prozesse möglichst emissions- und schadstofffrei.
Ziel ist es, im Einklang mit den UN Zielen für Nachhaltige Entwicklung (kurz: SDGs), zum Wohle aktueller und zukünftiger Generationen nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Dies impliziert, Umweltqualität, ökonomischen Wohlstand und soziale Gleichheit zu schaffen.[2] Mit der Zirkulären Wertschöpfung bestehen insbesondere Bezüge zum SDG 12 Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster, aber auch zu SDG 8 Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum und SDG 9 Industrie, Innovation und Infrastruktur und vielen weiteren.
Aber es gibt doch schon die Kreislaufwirtschaft, warum also ein neuer Begriff? Der Grund ist die Feststellung, dass eine Lücke zwischen Konzept, gesetzlichen Regelungen und praktischer Umsetzung der Kreislaufwirtschaft besteht. Zudem verdeutlicht der Begriff “Zirkuläre Wertschöpfung” die ökonomischen Chancen, die sich hierdurch im gesamten Wirtschaftssystem ergeben. Der vermeintlich kleine Unterschied auf dem Papier macht also einen großen Unterschied bei der (betrieblichen) Umsetzung.
In Deutschland wird “Kreislaufwirtschaft” in der Praxis häufig mit den Begriffen Abfallwirtschaft oder Recycling assoziiert, die aber nur ein Teilausschnitt der Zirkulären Wertschöpfung sind und dort eine geringere Priorität als andere Strategien aufweisen (siehe Abbildung unten). Auch wird in offiziellen EU-Dokumenten die „Circular Economy“ mit Kreislaufwirtschaft übersetzt, obwohl auch hier das gesamte System gemeint ist.
Der deutsche Gesetzgeber regelt das Abfallrecht im Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG):
„Zweck des Gesetzes ist es, die Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen zu fördern und den Schutz von Mensch und Umwelt bei der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen sicherzustellen.“ (§1 KrWG)
Ein wichtiger Bestandteil des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ist die fünfstellige Abfallhierarchie, die die Vermeidung von Abfällen in den Fokus rückt:
„Maßnahmen der Vermeidung und der Abfallbewirtschaftung stehen in folgender Rangfolge:
1. Vermeidung,
2. Vorbereitung zur Wiederverwendung,
3. Recycling,
4. sonstige Verwertung, insbesondere energetische Verwertung und Verfüllung,
5. Beseitigung.“ (§6 Abs. 1 KrWG)
Während das Kreislaufwirtschaftsgesetz also Abfälle bzw. den Umgang mit Abfällen, insbesondere deren Vermeidung und Verwertung in den Fokus stellt, beschäftigt sich die Zirkuläre Wertschöpfung schwerpunktmäßig mit der Frage, wie Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle gestaltet werden müssen, um einer nachhaltigen und wirtschaftlichen Entwicklung gerecht zu werden. Mit anderen Worten perfektioniert Zirkuläre Wertschöpfung nicht das Wegwerfen, sondern stellt den Nutzen von Produkten und Dienstleistungen in den Vordergrund, um tragfähigere Lösungen zu finden. Deshalb kommt bei der Zirkulären Wertschöpfung der Strategie ‚Rethink‘ und dem damit verbundenen Innovationsgedanken ein hoher Stellenwert zu, insbesondere der nutzer*innenzentrierten Gestaltung.
Blicken wir nun einmal konkret auf Sie als Akteur innerhalb Ihres Unternehmens. Angenommen Sie wünschen sich, dass das Produkt, das Sie entwickeln bzw. vertreiben möglichst nachhaltig ist und keinen negativen Einfluss auf Mensch und Umwelt hat. Ihnen stehen hierfür nur begrenzt finanzielle Mittel zur Verfügung. Außerdem sehen Sie sich einem hohen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Wie schaffen Sie es, ein Produkt zu entwickeln, das nachhaltig ist und Ihnen im besten Fall auch noch einen Wettbewerbsvorteil bringt?
Im Folgenden schauen wir uns einen klassischen Produktentwicklungsprozess an und erweitern ihn um Leitfragen, die Ihnen dabei helfen sollen, Ihre Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle im Sinne der Zirkulären Wertschöpfung nachhaltig (um) zu gestalten. Hierbei schenken wir der Anwendung der R-Strategien und dem Prinzip einer nutzer*innenzentrierten Gestaltung besondere Beachtung.
Die R-Strategien [3] werden häufig als das Grundgerüst und Kernelement der Zirkulären Wertschöpfung bezeichnet. Sie beschreiben wichtige Herangehensweisen zum Gelingen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Transformation. Das “R” bzw. “Re” verdeutlicht dabei die Bedeutung von geschlossenen Kreisläufen im Denken und Handeln. In der Praxis finden Sie Beispiele, die genau einer Strategie zuzuordnen sind, aber viel häufiger solche, die durch eine Kombination verschiedener Strategien erfolgreich sind.
Bei der nutzer*innenzentrierten Gestaltung stehen, wie der Name schon sagt, Nutzer*innen im Zentrum des Gestaltungsprozesses. Wenn Sie die Bedürfnisse der Nutzer*innen bereits in (oder vor) der Phase der Ideengenerierung ‚beobachten‘ und analysieren, können Sie besser Ideen entwickeln, die diese Bedürfnisse optimal decken und idealerweise einen höheren Innovationscharakter aufweisen.
Denken Sie einmal über ein konkretes persönliches Bedürfnis nach. Zum Beispiel den Wunsch danach, Ihre heutige Arbeit ungestört, fokussiert und erfolgreich abzuschließen. Wie kann dieser Wunsch erfüllt werden? Wie viele verschiedene Lösungswege können Sie sich vorstellen? Vielleicht hilft es Ihnen, auf ablenkende Gegenstände wie Ihr Smartphone oder Features wie die automatische Benachrichtigung beim Eintreffen einer neuen Email zu verzichten (R0 Refuse). Oder aber Sie wünschen sich ein ‚smartes‘ neuartiges Produkt, das Ihnen genau zum richtigen Zeitpunkt eine Pause vorschlägt oder nur die Erinnerungen an Sie ‚durchlässt‘, die für Sie und Ihre heutigen Ziele wichtig sind. Die R-Strategien dienen in diesem Fall auch dazu, diese Lösung zu hinterfragen und nachhaltig zu gestalten.
Wenn Sie nun also mithilfe der R-Strategien und der nutzer*innenzentrierten Gestaltung einen ganzen Blumenstrauß neuer Ideen generiert haben: Wie bewerten Sie diese Ideen und wählen die Optimale aus?
Schauen Sie sich noch einmal die Abbildung der R-Strategien an: Wir haben diese mit einem Richtungspfeil ‚Zirkularität‘ versehen. Damit möchten wir zum Ausdruck bringen, dass das Vermeiden in der Regel ‚zirkulärer‘ ist als das Recyceln. Das heißt nun aber nicht, dass wir Sie dazu bewegen möchten, alle möglichen Produkte zu vermeiden oder einzusparen. Wir können (und möchten) Ihnen die Entscheidung nicht abnehmen – wir möchten Ihnen dabei helfen, Ihre Ideen miteinander zu vergleichen und aus Sicht der Zirkulären Wertschöpfung einzuordnen. Dabei setzen wir zunächst auf Sensibilisierung, Wissen und Hinterfragen.
Im Forschungsprojekt Prosperkolleg beschäftigen wir uns auch mit der Frage, wie wir Ideen auf deren ‚Zirkularität‘ hin bewerten können. Wie Prof. Blomsma sagte: Wir stehen noch am Anfang und niemand von uns ist Expert*in. Bis wir (gemeinsam mit Ihnen) eine konkrete Antwort liefern können: Machen Sie sich auf den Weg und identifizieren Sie den ersten bzw. nächsten (kleinen) Schritt für mehr Nachhaltigkeit und Innovation in Ihrem Unternehmen.
Vielleicht starten Sie mit einem ganz einfachen Szenario wie diesem: Welche Auswirkungen auf Ihren Entwicklungsprozess und Ihr Unternehmen hätte es, wenn Sie Ihr Produkt mit einer allgemein verständlichen Reparaturanleitung ausliefern würden?
Die Abbildung „Beispielhafter Produktentwicklungsprozess mit ausgewählten Leitfragen und Werkzeugen für nutzer*innenzentriertes zirkuläres Produktdesign“ zeigt einen klassischen Produktentwicklungsprozess, den wir um Leitfragen und Werkzeuge ergänzt haben, die Ihnen dabei helfen sollen, Ihre Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle im Sinne der Zirkulären Wertschöpfung nachhaltig (um) zu gestalten. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Finden Sie mit Hilfe der Leitfragen Ansatzpunkte für Zirkularität und nachhaltige Innovation?
Welche Fragen werden Sie sich stellen, wenn Sie das nächste Mal Ideen für ein neues Produkt entwickeln? Und wie kann Ihnen das Wissen um Zirkuläre Wertschöpfung dabei helfen, nachhaltige Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sich rentieren?
Wir freuen uns über Ihr Feedback und Ihre Anregungen, denn wir sind sicher: Den Weg der nachhaltigen Transformation bestreiten wir besser (und lieber) gemeinsam mit Ihnen!
Quellen
[1] Kirchherr, Julian/Reike, Denise /Hekkert, Marko, 2017: Conceptualizing the circular economy: An analysis of 114 definitions, in Resources, Conservation & Recycling 127, S. 221–232. https://doi.org/10.1016/j.resconrec.2017.09.005
[3] Potting, J., et al., 2017: Circular Economy: Measuring Innovation in the Product Chain, PBL Netherlands Environmental Assessment Agency, The Hague. https://www.pbl.nl/en/publications/circular-economy-measuring-innovation-in-product-chains