Am 07.10.2021 fand im Rahmen der Prosperkolleg-Veranstaltungsreihe „Circular October“ das 15. Web-Seminar des CEresearchNRW-Netzwerks statt. Rund 40 Teilnehmende diskutierten gemeinsam mit den Referent:innen Anna Preut und Saban Ünlü, wie der digitale Zwilling die Circular Economy vorantreiben kann.
Anna Preut (Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik – Abteilung Umwelt und Ressourcenlogistik) ging in Ihrem Vortrag zunächst auf das Konzept des digitalen Zwillings ein. Auf Basis der Beschreibungen von Grieves und Vickers wurde im Rahmen des Projekts Cluster Circular Plastics Economy (CCPE®) eine Arbeitsdefinition zum digitalen Zwilling ausgearbeitet. So ist der digitale Zwilling „eine virtuelle Sammlung von Informationen, die ein spezifisches, geplantes oder bereits existierendes Produkt umfassend beschreibt“. Weitere Merkmale des digitalen Zwillings sind, dass er Informationen über ein Produkt über den gesamten Produktlebenszyklus dezentral zur Verfügung stellt basierend „auf einer Informationsverbindung mit dem physischen Produkt“.
Die Software- und Hardwarestruktur des digitalen Zwillings kann in drei übergeordnete Funktionsbereiche unterteilt werden: 1) die Datenerfassung und der Zugang zu den Daten, 2) das Datenmanagement und die Bereitstellung der Daten sowie 3) die Datenevaluation und Analyse. So erhält ein User z. B. mittels einer App Zugriff auf die erfassten Daten. Diese werden in einer geschützten Infrastruktur in Datenspeichern bereitgestellt und über Webschnittstellen sowie über Analyse-Module evaluiert.
Auch wenn der digitale Zwilling über die letzten zehn Jahre deutlich an Interesse in der Forschung gewonnen hat, gibt es immer noch sehr unterschiedliche Interpretationen des Konzepts. Uneindeutig bleibt, wie genau Produkte im digitalen Zwilling abgebildet werden. Geht es hierbei etwa um eine Track and Trace Standortverfolgung oder eine viel detaillierte dreidimensionale Visualisierung des Produkts? Auch unklar bleiben die Anwendungsbereiche, wie zum Beispiel die Art der Prozesse, die Anzahl der beteiligten Akteure und die Produktlebenszyklusphasen.
In dem zweiten Teil des Vortrags ging Frau Preut auf die Frage ein, wie der digitale Zwilling zur Kreislaufführung von Produkten und Materialien beitragen kann. Dabei werden das Produktdesign, Prozesse und Technologien, rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen sowie Informationen als Einflussfaktoren für eine erfolgreiche Kreislaufführung angesehen. Solche relevanten Informationen könnten die Kreislaufführung von Produkten zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Projektlebenszyklus unterstützen. Zum Beispiel können sie beim Remanufacturing und Refurbishment helfen, um festzustellen, welche Ersatzteile erforderlich sind, aber auch, wo diese erhältlich sind. Zudem können relevante Informationen auch in der Beschaffung von Ressourcen zeigen, welche Qualität und Mengen an Sekundärmaterial von Produktrückflüssen erwartet werden können. Häufig fehlen jedoch diese relevanten Informationen durch eine Vielzahl heterogener Informationssysteme, einem unzureichenden Informationsaustausch zwischen den Akteuren oder einer fehlenden Informationserfassung und -speicherung.
Der digitale Zwilling kann durch das Sammeln und Bereitstellen der Informationen erheblich zur Kreislaufführung beitragen: ein Beispiel hierfür ist die Anpassung des Produktdesigns auf Basis von Nutzungsdaten sowie das Möglichmachen zirkulärer Geschäftsmodelle, wie zum Beispiel Sharing Systeme oder Predictive Maintenance.
Jedoch gibt es große Herausforderungen und offene Fragen beim Einsatz digitaler Zwillinge in der Praxis. Aufgrund der hohen Anzahl an Stakeholder müssen viele unterschiedliche Anforderungen berücksichtigt werden. Die Stakeholder müssen zusammengebracht werden, um Synergien zu schaffen. Zudem werden viele unterschiedliche Datenformate und IT Systeme genutzt. Auch dürfen die Wirtschaftlichkeit sowie ökologische Aspekte nicht vernachlässigt werden.
In einem zweiten Vortrag sprach Saban Ünlü (Founder netTrek GmbH & Co. KG) über „wie der digitale Zwilling die reale und virtuelle Welt miteinander verbindet“. In seiner Definition verbindet der digitale Zwilling virtuelle Modelle von realen Prozessen, Produkten, Dienstleistungen und Objekten mit der realen Welt. Dabei setzt sich der digitale Zwilling aus einem virtuellen Datenmodell eines realen Objektes, der Analyse der Daten und dem Wissen als Schnittstelle zwischen realer und virtueller Welt zusammen. Hierbei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten an Daten zu kommen: Dies kann zum einen vollautomatisiert über Sensoren & Edge-Computing geschehen, dabei werden IoT-Hub Daten zugänglich gemacht, um im Bestfall Echtzeitdaten über den Status und die Umgebung zu erhalten. Die Maschinen müssen so vernetzt werden, dass man in der Lage ist, Status-Werte zu erhalten, auf die sofort reagiert werden kann. Zum anderen kann der Aufbau des Datenmodells teilautomatisiert sein, das heißt Objekte werden digitalisiert, wie zum Beispiel ein Paket. Es wird gescannt, was sich im Paket befindet, wer es transportiert und, wann es ankommt. Hierbei findet eine Interaktion zwischen Mensch und Scanner statt.
Der digitale Zwilling ist nur etwas wert, wenn wir diese Daten sinnvoll analysieren und verarbeiten können. Massendaten sind häufig große, komplexe Datenmengen, die nur wenig strukturiert sind. Eine Analyse ist über Künstliche Intelligenz (KI) möglich, dabei können konditional Bedingungen analysiert werden, aber auch Machine Learning angewendet werden, um später Muster aus Daten zu erkennen und mehrschichtig zu lernen (Deep Learning). Digitale Zwillinge bieten den Vorteil, dass Analyseergebnisse Aussagen über den Ist-Zustand treffen können sowie Zukunftsvorhersagen. Sie können bei operativen und strategischen Entscheidungen unterstützten genauso wie beim Aufbau neuer Geschäftsmodelle. Die Analyse der Betriebsdaten bietet zudem eine mögliche Steigerung der Effizienz.
Ein Blick in die Praxis zeigt unterschiedliche Anwendungsbeispiele des digitalen Zwillings. Wie bereits von Frau Preut erklärt, bieten sie laut Herrn Ünlü in unterschiedlichen Phasen des Produktlebenszyklus Daten, die für Designalternativen, eine erhöhte Effizienz, Abruf von Verfügbarkeiten, Recyclingaktivitäten und vieles mehr genutzt werden können. Aber auch im Gesundheitsbereich und bei smarten Gebäuden, Fabriken, Städten und Logistikaktivitäten finden sie ihren Einsatz. Als Beispiel nennt Herr Ünlü die Lutec-PKS GmbH, ein Logistikspezialist, insbesondere für Paletten-Kreislaufsysteme (PKS). Die Firma analysiert Kundenanforderungen und konzipiert eigene Transportlösungen, bei der Mehrwegladungsträger zum Einsatz kommen. Nach dem kundenspezifischen Aufbau sind die PKS digital nachverfolgbar durch Labels oder RFID-Chips. Damit ist jederzeit überprüfbar, wo das Produkt ist, sowohl für Endkund:innen als auch für den Hersteller. Eine Reparatur der Mehrwegladungsträger sowie Modifikationen des Aufsatzes sind problemlos möglich. Am Ende des Lebenszyklus werden die Mehrwegladungsträger in Grundpalette und Aufsatz demontiert und in den Kreislauf zurückgeführt. Über das Protokollieren der Träger- und Gestelldaten wird das Instandhaltungsmanagement optimiert, um frühzeitig Schwachstellen und Bruchstellen zu ermitteln, und genauso die Qualitätssicherung und der Recyclingprozess. Durch digitale Instrumente kann hier die gesamte Wertschöpfungskette optimiert werden.