Tom Jost im Gespräch mit Sabine Wißmann, Wirtschaftsförderung Bottrop, und Joachim Beyer, WiN Emscher Lippe GmbH
Sabine Wißmann: Wir haben sicher einen Vorsprung in vielen Bereichen durch zehn Jahre Innovation-City, aber darauf sollte man sich nichts einbilden. Wir hatten das Glück, Modellstadt geworden zu sein und es leben zu können, also verschiedene Sachen auszuprobieren, zum Beispiel wie man CO2 oder Energie einspart. Da konnten wir viel Erfahrung sammeln, und haben durchaus auch mal erlebt, dass etwas nicht funktioniert. Wahrscheinlich haben wir den Ruf, vergleichsweise mutig zu sein und Projekte auch dann anzugehen, wenn sie nicht vom Anfang bis zum Ende durchgeplant sind. Das hat natürlich für das Image der Stadt enorm viel gebracht.
Sabine Wißmann: Seit 2016 gibt es den Hotspot als internationales Format, zuletzt hat er in Spanien stattgefunden. Man bewirbt sich als Austragungsort, denn dieser Hotspot dient ja explizit dem Austausch, wo man Theorie und praktische Anwendungen zusammenbringt, netzwerken kann und sich kennenlernt. Wir haben uns als Stadt über das Prosperkolleg beworben, und da hat die Projektleitung wirklich eine gute Bewerbung im Kreis der weiteren Interessenten abgegeben.
Sabine Wißmann: Wir versuchen, den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ zu vermeiden und von „Zirkulärer Wertschöpfung“ zu sprechen, weil Kreislaufwirtschaft schnell den Touch von Abfallwirtschaft bekommt. Für den Circular Economy Hotspot ist die Expertise, die wir gemeinsam über das Prosperkolleg und in der Region erarbeitet haben, schon wirklich die Bewerbungskarte gewesen. Und als Innovation City sind wir nochmal mehr stolz darauf, in diese Richtung weitergehen zu können.
Joachim Beyer: Ich bin bemüht, Ihnen mehr Selbstvertrauen einzuimpfen – in Bezug auf das, was wir hier an wirtschaftlicher Stärke vorweisen. Wir sind stolz auf unsere chemische Industrie, die als Grundstoff- und Spezialindustrie vielfach erst die Bedingungen herstellt, damit Raketen starten können. Und dass wir uns darüber hinaus dem Thema „Zirkuläre Wertschöpfung“ widmen und schauen, was wir an Wertstoffen haben – das ist eine der Ressourcen, die ungemein wichtig für die Gegenwart sind, aber noch mehr für die Zukunft. Da haben wir in der Region ein paar spannende Ansätze – mit dem Prosperkolleg, mit dem Circular Economy Hotspot, mit einigen Unternehmen, die schon erkennbar weit sind und als Vorbild dienen können. Nicht nur für die Emscher-Lippe-Region und das Ruhrgebiet, sondern auch darüber hinaus.
Sabine Wißmann: Das Thema spricht den Umgang mit den Ressourcen an, deshalb ist es auf jeden Fall richtig, die Region und die Fläche im Blick zu behalten. Sinn des Prosperkollegs ist es, zu informieren und zu sensibilisieren, und zwar möglichst breit. Natürlich sind wir unglaublich stolz darauf, dass das Prosperkolleg in Bottrop, an der Hochschule Ruhr West, angesiedelt ist – das ist absolut imagebildend. Und es entspricht dem Zukunftsgedanken für diese Region. Gerade jetzt, wo Lieferketten unterbrochen sind, wo die Energie unglaublich teuer wird, wo Unternehmen um ihre Standorte bangen, da geht es noch einmal mehr darum, Ressourcen zu schonen, sie sinnvoll und gut einzusetzen. Und in den meisten Fällen auch darum, andere Wege zu gehen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Joachim Beyer: Mit dem Konzept der zirkulären Wirtschaft haben wir den Rahmen geschaffen, die entscheidenden Themen, die uns noch schneller erreicht haben, als vor drei, vier Jahren geahnt – also Energie, Rohstoffe, Emissionen und Nachhaltigkeit – ganzheitlich anzugehen und in der gesamten Prozesskette zu betrachten: Wie kann ich dafür sorgen, dass Stoffkreisläufe entstehen und Stoffe darin gehalten werden können? Hier die Kompetenz zu erarbeiten, über eine Struktur zu verfügen, Zugänge zu den Hochschulen oder Beratungseinrichtungen, die nicht in München sitzen, sondern in der Region – das ist zunehmend ein Standortvorteil.
Joachim Beyer: Es ist ein Vorteil, dass gerade in den lokalen Wirtschaftsförderungen der Draht zu den Unternehmen recht gut ist. Wir können ein- und abschätzen, woran die Unternehmen arbeiten und mit wem man sie am besten zusammenbringt, auch über die Stadtgrenzen hinaus, damit sie gemeinsam an Fragestellungen und Lösungen arbeiten. Diese Verbindungen herzustellen, gelingt zunehmend, zum Beispiel, um Produktverbesserungen zu erzielen.
Sabine Wißmann: Der Werkzeugkasten sind im Grunde wir selbst. Wir verstehen uns ja als Netzwerkerinnen und Netzwerker schlechthin – wen wir kennen und was wir kennen, das können wir immer weitertragen. Wir können den Unternehmen, die eigentlich alle interessiert sind, durch unsere Expertise Freiraum schaffen und beispielsweise Seminare und Workshops speziell auf die Bedürfnisse zuschneiden. Das ist auch eine Erfahrung aus der Innovation City. Um das Gute umzusetzen, braucht es schlichtweg den ersten Schritt – das zu vermitteln ist unsere Morgengabe, die wir immer im Gepäck haben. Und wir zeigen über Best Practices, dass interessante Ideen schon auf dem Weg sind.
Sabine Wißmann: Dieses Bild stimmt in unserem hochverdichteten Ballungsraum überhaupt nicht mehr, weil wir keine Flächen mehr zur Verfügung haben. Jeder kramt wirklich die letzten Quadratmeter zusammen, um adäquate Standorte anbieten zu können. Das bewegt sich alles in einem minimalen Radius, auch weil die Unternehmen nicht ihre Mitarbeiter verlieren wollen und sich höchstens aus der Nachbarstadt hierhin verlagern.
Joachim Beyer: Unser Handlungsrahmen hat sich deutlich erweitert, nicht erst seit gestern. Etwa das Thema „Transfer von Technologien“ und aktuelle Entwicklungen, die wir an Unternehmen im breiten Mittelstand herantragen, die keine eigenen Forschungsabteilungen haben. Moderne Wirtschaftsförderung muss sich auch dem Thema „Fachkräftezufluss“ widmen, beobachten, was passiert und hier mit Akteuren wie Schulen und Kammern mehr leisten, als bisher notwendig war.
Sabine Wißmann: Da gibt es die ganze Bandbreite. Wir haben vor kurzem noch mit Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen zusammengesessen, die echte Frontrunner sind mit dem, was sie im Unternehmen schon umgesetzt haben. Und wir haben Unternehmen, die sagen: Davon haben wir schon mal etwas gehört. Kreislaufwirtschaft, oder besser Zirkulärwirtschaft wird ja schnell mit Abfallwirtschaft gleichgesetzt – obwohl es viel mehr ist. Da müssen wir am Anfang als Übersetzer leicht verständliche Häppchen anbieten, um den Einstieg ins Thema interessant zu machen. Und danach bleiben wir wie kleine Terrier an den Unternehmen dran …. (lacht).
Joachim Beyer: Das Thema ist mehr als aktuell. Zudem ist es wichtig, in der Region, bei den Unternehmen bekannt zu machen, dass sie in der Wirtschaftsförderung einen Partner haben, der beispielsweise weiß, wo man die richtigen Dienstleistungen und Unterstützung bekommen kann. Die sind ja oftmals nicht um die Ecke zu kriegen. Insofern sind wir froh und in der Entwicklung auch sehr zufrieden, dass sich jetzt an der Hochschule Ruhr West ein Kompetenzzentrum herausbildet, das angesprochen werden und in die Region wirken kann.
Joachim Beyer: Es ist ein zentrales Projekt, auch deswegen, weil es mit einem Labor vor Ort greifbar wird. Es soll und wird eine Zukunft haben. Wenn man dort Instituts-Kompetenz aufbaut, wird das Ausstrahlung haben – viele Beispiele an anderen Hochschulstandorten zeigen das ja. Dass wir gerade in so einem zentralen Zukunftsthema einen Ball im Spiel haben, macht uns schon ein bisschen stolz, aber noch nicht zufrieden, weil wir an dem Punkt sicherstellen müssen, dass es auch gut weitergeht.
Sabine Wißmann: Die Kombination der Partner ist ein großer Vorteil. Die Effizienzagentur NRW ist Partner im Prosperkolleg, wir als Wirtschaftsförderer stehen für das Prosperkolleg und ebenso die Wissenschaft an der HRW. Diese Zusammenarbeit macht es aus, dass wir für Unternehmen vor Ort ein adäquater Ansprechpartner sind. Das Prosperkolleg entwickelt ein großes Netzwerk – und die Expertise daraus können wir Unternehmen anbieten.