Tom Jost im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Saulo H. Freitas Seabra da Rocha
Saulo Seabra: Prof. Uwe Handmann, Prof. Wolfgang Irrek und ich teilen uns die Verantwortlichkeiten für das Prosperkolleg-Projekt. Bei mir liegt die Leitung und der Aufbau unseres Demonstrations- und Forschungslabors CDEL. Als Verfahrensingenieur bin ich seit langem in der Recyclingwelt tätig. Denn schon immer ist viel Forschungsarbeit notwendig gewesen, um ein paar Prozent der Rohstoffe wieder zu retten, die in unseren Produkten verbaut sind. In meiner vorherigen Tätigkeit haben wir die modernste Brikettierpressen gebaut und Pyrolyse-Verfahren für Biokohle entwickelt. Aber hier im CDEL geht es um etwas anderes, hier fragen wir: Was sind die strategischen Rohstoffe der Zukunft?
Saulo Seabra: Auf wertvolle Materialien mit aktuell sehr niedrigem Recyclinganteil in neuen Produkten. Blei zum Beispiel wird zu 75 Prozent wiederverwertet, weil es ein Pfandsystem für Batterien gibt, und weil es überall da verboten wurde, wo man es nicht zwingend braucht. Bei anderen Elementen, von denen viele Menschen denken, dass sie umfassend recycelt werden, wie etwa Eisen, liegen wir bei einem Recyclinganteil von 31 Prozent an der Neuproduktion. Das ist schon nicht schlecht. Erschreckend wird es aber bei Stoffen wie Kupfer oder Aluminium, die wir sehr oft brauchen – da liegt der Recyclinganteil nur bei 17 beziehungsweise 12 Prozent. Dabei ist Aluminium der wichtigste Rohstoff für den Bau von Flugzeugen oder Autos. Noch extremer ist es bei High-Tech-Materialien: Lithium wird momentan praktisch zu null Prozent recycelt, bei Neodym ist es ein Prozent. Alle diese Elemente fallen – bildlich gesprochen – durch unsere schlechten „Recycling-Netze“. Denn wir fischen mit den aktuellen Verfahren mit sehr großmaschigen Netzen und lassen dabei die kleinen Fische entwischen.
Saulo Seabra: Wir wollen zeigen, dass wir mit moderner Technologie in der Lage sind, auch komplexe Bauteile zu verarbeiten. Ein Hammer hatte früher einfach einen Holzstiel und einen Eisenkopf. In heutigen Werkzeugen sind schnell zehn verschiedene Materialien enthalten, das ist alles sehr komplex geworden. Allein im Kopf eines Akkuschraubers sind drei verschiedene Stahlsorten verbaut, dort Kupfer, hier die Platine und unten der Akku. Meine Idealvorstellung ist eine Maschine, in die wir einen Akkuschrauber legen, die dann die verschiedenen Elemente in eine Reihe von kleinen Dosen sortiert, ohne Kontamination der Materialien. Von dieser perfekten Zerlegewelt sind wir aber noch vielleicht zwanzig Jahre entfernt.
Saulo Seabra: Nein, nicht unbedingt. Es gibt Materialien wie Eisenkomponenten, die zum Beispiel mit einem Magneten abgesondert werden können. Was so gewonnen wird, ist aber eher minderwertig. Wir möchten die hochwertigen Stähle herausholen. Das Hauptproblem ist dabei die extrem große Materialvielfalt. Der Kunde möchte das so haben, und die Designer denken viel über diese Kundenwünsche nach – leider weniger darüber, wie die Materialien nach dem Produktlebensende zurückgewonnen werden.
Saulo Seabra: Das wäre ein Fortschritt. Wir haben mit Herstellern von Geräten diskutiert: Vieles wäre schon einfacher, wenn die Schrauben ein wenig anders platzieren würden. Oder wenn beim Akkuschrauber zwischen Motor und Getriebe eine kleine Kupplung aus Kunststoff eingesetzt würde, dann ließen sich die Komponenten viel besser trennen. Geht die Kupplung kaputt, muss nur diese gewechselt werden und nicht der ganze Motor oder das Getriebe. Es gibt Bauteile aus bis zu vier Kunststoffsorten, bei denen eine Sorte ausreichend wäre. Dazu müsste eine Stelle der Konstruktion vielleicht ein bisschen dicker werden, die andere ein bisschen dünner – aber machbar wäre es.
Saulo Seabra: Es gibt Elemente, die in großen Mengen gebraucht werden, wie etwa Eisen. Andere werden in viel kleineren Mengen benötigt, aber ohne diese Elemente funktioniert das Produkt nicht. Dazu gehören Neodym, Lithium oder Kobalt. Wir müssen daher alles in den Blick nehmen. Je mehr recycelt wird, desto weniger Abbau von Rohstoffen ist notwendig und desto weniger wird die Natur zerstört.
Saulo Seabra: Es gibt hier mehrere Aspekte zu bedenken: Wir schicken unsere Abfälle häufig ins Ausland wegen niedrigerer Lohnkosten, aber das ist teilweise ungesetzlich und sozial nicht mehr akzeptabel. Die Menschen in Europa, die Produkte zerlegen, machen das auch nicht gerne. Es ist eine monotone Arbeit, die oft mit viel Dreck verbunden ist. Ein Fernseher steht vielleicht zwanzig Jahre in einer Werkstatt, da können sich Asbeststaub oder andere Substanzen im Gerät ablagern. Viel interessanter sind Anlagen wie unsere, die selbstständig arbeiten und hochwertige Arbeitsplätze generieren. Die Anlage muss programmiert und für neue Produkte angepasst werden. Momentan arbeiten wir mit Akkuschraubern und Handys, aber vielleicht sind es in zehn Jahren große Mengen von Staubsauger-Robotern, die zu Elektroschrott werden. Und dann muss jemand die Anlage dafür programmieren, Staubsauger-Roboter auseinanderzunehmen.
Saulo Seabra: Wir forschen gerade nach Möglichkeiten, nachhaltigen Kohlenstoff aus Biomasse herzustellen. Kohlenstoff wird für viele Dinge benötigt, etwa für Bremsscheiben oder Elektroden, momentan ist er aber nur als fossiler Kohlenstoff vorhanden, der aus Kohle, Gas und Öl gewonnen wird. Was wir brauchen, ist also nachhaltiger Kohlenstoff als Input und Teil der Circular Economy. Ein weiteres Thema, das uns im CDEL beschäftigt, ist die Dezentralisierung von Recyclinganlagen. Wird nur in Großanlagen recycelt, müssen die Reststoffe hin- und hergefahren werden. Besser sind dezentrale, regionale Anlagen mit kurzen Wegen für den An- und Abtransport. Das ist eine Sache, die wir momentan untersuchen. Darüber hinaus schauen wir uns Industrieprodukte an, die aus drei oder vier verschiedenen Materialien gefertigt sind, wie zum Beispiel bestimmte Pumpen- oder Turbinenteile. Momentan lohnt es sich nicht, diese Materialien zu trennen, weil so viele und kleine Fraktionen entstehen. Aber auch hier lässt sich durch automatisierte Vortrennung die Wertigkeit der Stoffströme steigern.