Wir konnten Referent:innen für vier Vorträge aus Forschung und Praxis begrüßen. Berfin Bayram (RWTH Aachen) das Forschungskolleg Verbund.NRW vor. Elias Schwemin (HFT Stuttgart) berichtete uns anschließend über die Entwicklung eines nachhaltigen Konzepts für Wohnraum in Innenstädten. Im Anschluss daran stellte Dr. Patrick Bergmann von der Madaster GmbH deren digitale Tools vor, darunter die Materialdatenbank, die ein Stoff(strom)kataster für Gebäude ist. Zum Abschluss der Veranstaltung berichteten uns Zoé Koop (Ingenum GmbH/HRW) und Prof. Dr. Jens Watenphul (HRW von ihrem Projekt zur Entwicklung einer Stoffstrommanager-App für Bau(roh)stoffe.
Berfin Bayram startete mit einer kurzen Vorstellung des Forschungskollegs Verbund.NRW. Dieses ist ein interdisziplinäres und transdisziplinäres Vorhaben, das in Kooperation mit Industriepartnern technische, ökologische, soziale und ökonomische Methoden und Lösungsansätze erforscht, um anthropogene (also durch Menschen verursachte) Stoffketten in der Bauwirtschaft zu schließen. Anschließend hob Bayram die besondere Rolle der Bauwirtschaft im Bereich Circular Economy hervor. Zum einen hat diese innerhalb der EU und Deutschlands einen sehr wesentlichen Anteil am Abfallaufkommen. Andererseits erleben
Verbundwerkstoffe wie glasfaserverstärkter / carbonfaserverstärkter Beton eine immer größere Popularität in der Anwendung, obwohl diese nach aktuellem Stand der Wissenschaft nur schwer in Kreisläufen zu halten
sind und auch deren Entsorgung am Lebensende mit einigen Problemen verbunden ist. Eine elementare Frage ist für Bayrams Forschung auch, wie die Kreislauffähigkeit von Baustoffen gemessen werden kann.
Anhand ausgewählter Umweltwirkungskategorien und Kostenallokationen vergleicht sie im Rahmen eines Life Cycle Assessments und eines Life Cycle Costing-Ansatzes für verschiedene Betonfertigungsarten die
ökologische und ökonomische Sinnhaftigkeit von Betonrecycling. Als zentrale Rolle Ihrer Forschung sieht Bayram für die Zukunft die Kombination der Kriterien (1) Ökologie, (2) Ökonomie und (3) Materialqualität zur Bewertung von Kreislaufkonzepten in der Bauwirtschaft.
Das Team „coLLab“ der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT) um Elias Schwemin nimmt am Hochschulwettbewerb „Solar Decathlon Europe 2021“ teil. Der Wettbewerb befasst sich mit Herausforderungen des Wohnens in Innenstädten und motiviert die jeweiligen Teams zur Entwicklung von Lösungsansätzen. Die Lösungen werden in interdisziplinären Teams in zehn Bereichen (wie bspw. Architektur, Nachhaltigkeit oder Energie) entwickelt und bewertet. Schwemin machte in seinem Vortrag auf die wesentlichsten Problemstellungen der Stadt Stuttgart aufmerksam, welche Hitzestau, Luftverschmutzung und Wohnraummangel sind. Der Lösungsansatz des Teams besteht aus einer Aufstockung zirkulärer Kleinraumwohnungen auf Bestandsgebäuden und deren Sanierung. Schwemin erklärte, dass sich die Entwicklung des Modells auf drei Leitsätze der Nachhaltigkeit bzw. Kreislauffähigkeit bezieht: (1) Suffizienz, (2)Wiederverwendung, -verwertung oder Weiterverwendung und (3) weitere Materialien. Zur Erreichung von
Suffizienz trägt das Konzept u. a. durch das Vermeiden weiterer Flächenversiegelung, das Sharing von Gemeinschaftsflächen und LowTech-Gebäudeenergiekonzepte bei. Zur Erreichung des zweiten Leitsatzes sieht die Planung des Teams vor, verschiedene Komponenten durch zerstörungsfrei lösbare Verbindungen (wie Schrauben oder Einhängen) miteinander zu verknüpfen. Die Elemente sollten dabei, sofern möglich, aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz gefertigt werden, um eine nachhaltige Konstruktion weiter zu fördern. Schwemin zeigte abschließend in der Bewertung des Ansatzes, dass das Kreislaufpotenzial des Modells erheblich höher liegt als in der gängigen Bauwirtschaft und erhebliche Anteile der Konstruktion mindestens weiter verwertbar sind. In diesem Zusammenhang machte er auf die Wichtigkeit ganzheitlicher
Betrachtung des Lebenszyklus aufmerksam. So seien vermeintlich günstigere „Einwegmaterialien“ im Einkauf nicht zwingend günstiger über die gesamte Lebensdauer, sei es doch bei diesen nicht möglich, diese bspw. nach Nutzung weiterzuverkaufen.
Dr. Patrick Bergmann von Madaster stellte im dritten Vortrag das Materialkataster seines Unternehmens vor. Am Beispiel des Verwaltungssitzes von Triodos, einer niederländischen Bank, erläuterte er, dass hohe Grade an Zirkularität im Gebäudebereich möglich sind. Sie beträgt beim genannten Gebäude bis zu 95%. Die Idee des Stoffkatasters ist motiviert aus der Endlichkeit der Ressourcen auf der Erde und der Idee, dass das Wirtschaftssystem auf lange Sicht mit den verfügbaren Ressourcen auskommen muss. Idee des digitalen Materialkatasters ist es, die verbauten Materialien von Gebäuden in einer Datenbank zu erfassen und in ähnlicher Form des Liegenschaftskatasters die Ressourcenbindung von Gebäuden darzustellen. Die Materialien werden dabei in Kategorien wie bspw. Glas, Kunststoffe, Metall eingeteilt. Madaster ist als Stiftung organisiert und in verschiedenen europäischen Ländern vertreten. Madaster arbeitet mit Produktherstellern, Recyclingunternehmen, Geldgebern und ähnlichen Akteuren in der Projektentwicklung in der Bau- und Rückbauphase von Immobilen. Ziel ist es, ein Ökosystem aufzubauen, d.h. ein möglichst großes Netzwerk an Partnerunternehmen über die gesamte Wertschöpfungskette der Baubranche zusammen zu bringen. Bergmann sieht Gebäude nicht als reine Immobilien, die mit Rohstoffen gebaut und
nach Nutzung entsorgt werden müssen, sondern als „Rohstoffdepot“ an deren Lebenszyklusende möglichst viele hochwertige Materialien für neue Bauprojekte weiterverwendet werden können. Um eine möglichst ganzheitliche Bewertung vornehmen zu können, verfügt das Materialkataster über folgende vier Tools: (1) Materialpass, (2) CO2-Kalkulator, (3) Zirkularitätsindex und (4) finanzielle Bewertung.
Zum Abschluss stellten Prof. Jens Watenphul (Hochschule Ruhr West, HRW) und Zoé Koop (HRW & Ingenum GmbH Bottrop) das Projekt „DigiMin“ zur Entwicklung einer Stoffstrommanager-App für mineralische
Rohstoffe vor. Ziel dieser App ist es, eine dynamische Vernetzung verschiedener Großbaustellen zu schaffen, um den Logistikaufwand benötigter Materialien zu minimieren. Watenphul betonte hierbei mehrere
Faktoren, die den Umweltaufwand der Materiallogistik stark beeinflussen, der mit Hilfe der App deutlich gesenkt werden soll. Zunächst stellt die Bauwirtschaft einen Industriezweig dar, der großen Rohstoffmassen
be- und verarbeitet. Die als Beispiel genannten Großbaustellen, wie Deiche oder Straßenbauprojekte, benötigen entsprechend Millionen LKW-Ladungen an Schotter, Kiesen, Sanden und ähnlichen Rohstoffen.
Der Betrieb der LKWs im Rahmen des Transportes verursacht Emissionen, die sich in vielerlei Umweltwirkungskategorien negativ auswirkt. Neben dem durch den Transport verursachten Aufwand muss außerdem der sehr starke Einfluss auf die Transportinfrastruktur berücksichtigt werden. Durch ihre hohe Masse belasten die LKW Straßen auf denen sie fahren wesentlich stärker als normale PKW, welche dadurch einen höheren Sanierungsbedarf haben. Daraus kann man schließen, dass eine möglichst kurze Transportdistanz zwischen verschiedenen Großbaustellen nur dann Vorteile bietet, wenn diese bzgl. Stoffströmen voneinander abhängen, also eine Baustelle das Outputprodukt einer anderen Baustelle als Input verwenden kann. Die App soll zukünftig in Anlehnung an gängige Online-Karten-Anwendungen wie Google-Maps alle Großbaustellen anzeigen und deren Bedarfe und Angebote an Material abbilden. Bei einer Überschneidung von Bedarf und Angebot werden die Akteure der betroffenen Baustellen vernetzt. Da das Projekt erst kürzlich startete, ist bisher noch keine Test- oder Vollversion der App verfügbar, jedoch wird
daran gearbeitet, dass das Projekt aufgrund seines Erfolgsversprechens möglichst zeitnah umgesetzt wird.
Vielen Dank für Ihre Teilnahme, wir freuen uns, Sie auch bei den anderen Terminen der CEAP-Reihe begrüßen zu dürfen.
Am 03. März 2022 wird das nächste Web-Seminar zu gewohnter Uhrzeit stattfinden, welches den Schwerpunkt Textilien näher betrachtet.