CEresearchNRW: Der EU Circular Economy Action Plan – zirkuläre Kunststoffe?

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Julian Mast


CEresearchNRW:
Der EU Circular Economy Action Plan - Zirkuläre Kunststoffe?

Am 05.05 lud unser Netzwerk CEresearch.NRW zu einem weiteren Web-Seminar im Kontext des Circular Economy Action Plans (CEAP) ein. Nachdem in den vergangenen Veranstaltungen Schwerpunkte wie Bauwirtschaft, Textilsektor oder Automobilsektor im Fokus der Vorträge standen, lag der Fokus dieser Veranstaltung auf der Gestaltung einer zirkulären Kunststoffindustrie. Hierzu
referierten Michael Tesch vom Kunststoffinstitut Lüdenscheid, Dr. Manfred Renner vom Fraunhofer-Institut UMSICHT (Oberhausen) und Dr. Stefanie Eiden von der Covestro AG (Leverkusen).

Rohstoffquellen der Zukunft und betriebliche Handlungsempfehlungen

Im ersten Vortrag stellte Michael Tesch vom Kunststoffinstitut Lüdenscheid Handlungsempfehlungen für Industrieunternehmen vor, die Zirkularität in ihrem Umgang mit Kunststoffen erreichen wollen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Norm DIN SPEC 91446. Teschs Handlungsempfehlungen ruhen auf einem engen Austausch mit etlichen Industrieunternehmen, die Projektpartner und Träger des Kunststoffinstituts Lüdenscheid sind. Das Institut versteht sich als Dienstleister und Co-Entwickler von Applikationen in der Industrie, insbesondere im Automotive-Sektor. Tesch veranschaulichte, dass
derzeitige Kunststoffe zu einem überwiegenden Teil aus fossilen Ressourcen erzeugt werden, die zukünftige Kunststoffproduktion jedoch auf Basis von Kohlenstoff aus der Atmosphäre, Biosphäre oder dem schon existierenden technischen Stoffkreislauf erzeugt werden soll. Laut Tesch sei „[…] dem Kunststoff egal, woher der Kohlenstoff stammt“, es können bereits heute schon Kunststoffe mit gleichen Eigenschaften aus natürlichen Quellen wie nachwachsende Rohstoffe oder auch CO2 aus der
Luft erzeugt werden wie ihre petrochemischen Pendants. Vor allem das Recycling von Kunststoffen stellt eine attraktive Rohstoffquelle für die Zukunft dar, da bereits verschiedene Recyclingkonzepte vorhanden und erprobt sind. Diese lassen sich weiter ordnen in mechanische Verfahren, chemische Verfahren (wie Vergasung oder Pyrolyse) und enzymatische Verfahren (also der Zersetzung der Kunststoffe durch Biokatalysatoren). Das Recycling von Kunststoffen nimmt eine wichtige Rolle in der
zunehmenden Nachhaltigkeitsorientierung von Unternehmen und Gesellschaft ein, da es das Einsparen von Ressourcen und die Verringerung von CO2-Emissionen ermöglicht. Dennoch konnte sich das Recycling von Kunststoffen noch nicht ausreichend bzw. nicht flächendeckend etablieren. Dies liegt an einer Reihe von Herausforderungen, mit denen sich die kunststofferzeugenden Unternehmen konfrontiert sehen. Laut Tesch ist es für Industrieunternehmen von höchster Priorität, eine konstante Qualität der (Kunststoff-) Produkte und eine dauerhafte Lieferfähigkeit sicherzustellen. In diesem Zusammenhang stellen Verunreinigungen und heterogene Abfallströme einen wesentlich hemmenden Einflussfaktoren für die Anwendung von Kunststoffrecycling dar. Dennoch können die
recycelten Materialien (bspw. Ausschuss oder tatsächliche Abfälle aus dem Wirtschaftssystem) hochwertig verarbeitet, oder bspw. durch die Zugabe von Additiven weiter veredelt werden, wodurch sich deren Stoffeigenschaften weiter verbessern.

Die DIN SPEC 91446 ist eine erarbeitete Norm, die die Nutzung von Rezyklaten fördern soll, indem sie Transparenz für recycelnde Unternehmen und anwendende Unternehmen schafft. Die Norm legt ein System zur Einstufung von Kunststoffrezyklaten entsprechend der Datentiefe ihrer Beschreibung fest, das die bestehenden Hindernisse für deren industriellen Einsatz abbaut. Zudem definiert sie Methoden, mit denen sich Rezyklate und Rezyklatanteil von Kunststoffmaterialien eindeutig identifizieren und kennzeichnen lassen. Berechnungsbeispiele zeigen, wie der Rezyklatgehalt sich zusammensetzt und dokumentiert werden kann. Der neue Standard soll den Akteuren entlang der gesamten Wertschöpfungskette so künftig als gemeinsame Sprache dienen. Dabei richtet er sich insbesondere an Anwendende, Verarbeitende, Recycelnde und Entsorgende im Bereich Kunststoffe. Die DIN SPEC 91446 setzt künftig einen einheitlichen Standard für die Klassifizierung von Kunststoffrezyklaten auf Grundlage der verfügbaren Datentiefe (Datenqualitätslevel) und entsprechender Kennzeichnung. Tesch betonte, dass das Bestehen einer Norm für die Kunststoffqualität und mehrerer Recyclingprozesse nicht per se in einer steigenden Zirkularität münde, vielmehr müssen Unternehmen neuartige Prozesse und Organisationsstrukturen etablieren, die es ihnen ermöglichen, Stoffströme aufzubauen und deren Versorgungssicherheit sicherstellen.

Circular Economy heißt gesamtgesellschaftliche Transformation der Geschäftsmodelle

Auch Dr. Manfred Renner vom Fraunhofer-Institut UMSICHT und FHG Cluster Circular Plastics Economy (CCPE) sieht wesentlichen Handlungsbedarf in der Anpassung der Geschäftsmodelle von
kunststofferzeugenden Unternehmen, um diese zirkulär(er) zu gestalten. Der Kunststoffsektor zeichnet sich einerseits durch sein breites Anwendungsfeld aus, so sind Kunststoffe in nahezu jedem alltäglichen Gegenstand enthalten, sei dies ein Fensterrahmen oder das Interieur eines Fahrzeugs. Andererseits zeichnen sich Kunststoffe dadurch aus, dass diese in der Regel technisch gut recyclefähig sind. Und dennoch werden derzeit nur ca. 2% aller Kunststoffe im Wirtschaftssystem in einem geschlossenen Kreislauf gehalten, während 98% nur unzureichend im Kreislauf gehalten werden (bspw. in Form von Downcycling, Verbrennung zur Energierückgewinnung oder Deponierung). Renner erläuterte die enge Vernetzung diverser gesellschaftlicher Stakeholder mit einem Unternehmen im Rahmen dessen Geschäftsmodells. So gibt es eine Vielzahl an internen und externen Kräften, die auf das Geschäftsmodell einzelner Firmen wirken. Naheliegend ist, dass Akteure der Vorkette und
Nachkette direkten Einfluss auf die Gestaltung des Geschäftsmodells haben. Diese sind entsprechend die Kund:innen und Zuliefer:innen des Unternehmens. Darüber hinaus gibt es jedoch auch weitere einflussreiche Kräfte wie bspw. nationale Gesetzgebung, Megatrends innerhalb der Gesellschaft oder ein firmeninternes, verändertes Verständnis von Nachhaltigkeit und Circular Economy. Renner veranschaulichte die Dynamik zwischen verschiedenen Partnern mit dem bekannten „Business Model Canvas“ nach Osterwalder & Pigneur. Renner betonte, dass es nicht den „Königsweg Recycling“ gebe, auch andere Strategien müssten zur Erreichung der Zirkularität eingesetzt werden. So könne die Verwendung der R-Strategien eine Grundlage bilden, um neuartige Geschäftsmodelle zu entwickeln. Als Beispiel hierfür führte Renner ein „Product-Service-System“ auf, in dem nicht mehr das Produkt als solches verkauft wird, sondern bspw. zeitweise geleast wird, jedoch stetig im Verantwortungsbereich des Unternehmens verbleibt, was Wartung u.Ä. angeht. Auch andere Strategien wie Refurbishment oder Remanufacturing von Produkten können einen Ansatzpunkt für die Zirkularisierung von Geschäftsmodellen darstellen. Eine solche Transformation erfordere jedoch eine systemische Anpassung des bzw. der Geschäftsmodelle, wo sich das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure (teilweise massiv) verändere und sich einige Unternehmen neu erfinden bzw. ausrichten müssen. Gleiches gelte auch für die Gesellschaft selbst. Diese müsse durch Bildungsinitiativen aufgezeigt bekommen, weshalb eine Veränderung der jahrelang gängigen Praktiken notwendig sei und diese anschließend ebenso mittragen wie die Unternehmen selbst.


Abschließend betonte Renner außerdem, dass zirkuläre Maßnahmen nicht um der Zirkularität Willen durchgeführt werden sollten, vielmehr verfolgen diese das Ziel, ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem zu schaffen. Entsprechend sei es von höchstem Interesse, durch wissenschaftlich fundierte Analysen zu prüfen, ob neuartige Geschäftsmodelle nachhaltigere Lösungen darstellen als andere und eine Transformation erstrebenswert sei. Eine wissenschaftliche Methode hierfür sei bspw. das Life Cycle Assessment zur Bewertung der umweltrelevanten Wirkung der Geschäftsmodelle.


Covestro AG – klimaneutral durch zukunftsfähige Strategien in der Gegenwart

Dr. Stefanie Eiden von der Covestro Deutschland AG stellte im abschließenden Vortrag das Konzept ihres Unternehmens vor, nachhaltige und hochwertige Kunststoffe herstellen zu können. In der Strategie zur Zielerreichung erachtet die Covestro dabei das Konzept der Circular Economy als Schlüsselkonzept, um als Unternehmen langfristig CO2-neutral zu werden. Entsprechend müssen bereits in der Gegenwart Prozesse und Geschäftsmodelle entwickelt werden, die zur Erreichung dieser Zielstellung beitragen können. Da die Covestro eine steigende Nachfrage nach Kunststoffen erwartet, will sie ihre künftige Produktion einerseits durch nachwachsende, biobasierte Rohstoffquellen, andererseits durch den Rückfluss alter Produkte speisen. Das Unternehmen versteht den Abfallstrom „Plastik“ als zukünftigen Ressourcenstrom seiner Produktion. Dafür muss einerseits aus logistischer Sicht die Frage beantwortet werden, wie dieser Strom vom jeweiligen Ort der Abfallentstehung ins Unternehmen (rück-) geführt werden kann, andererseits muss aus technologischer Sicht geklärt werden, wie die rückgeführten Stoffe behandelt werden müssen, damit sie als Grundlage für ein neues Produkt eingesetzt werden können. Für die Auswahl und Entwicklung geeigneter Verwertungsverfahren ist also entscheidend, zu verstehen, in welcher Form und in welchem Zustand der Ressourcenstrom des Altplastiks zum Unternehmen rückgeführt wird. Im Gegensatz zu anderen kunststoffherstellenden Unternehmen ist die Rückführlogistik bei der Covestro AG nicht geschlossen, da die komplexen Polymere oftmals an externe Geschäftspartner verkauft werden. Die Sicherung des Abfallstroms als Rohstoffquelle ist in diesem Falle entsprechend mit der Entwicklung von „Reverse-Business Models“ in Kooperation mit den jeweiligen Stakeholdern (wie bspw. Kunden) verknüpft. Aus technologischer Sicht stellen die komplexen Kunststoffe der Covestro AG eine Vielzahl an Anforderungen an den zu entwickelnden Recyclingprozess. Viele der Produkte von Covestro sind Thermosets, d.h. sie schmelzen nicht beim Erhitzen, so dass hier ein mechanisches Recycling nicht möglich ist. Entsprechend werden bei Covestro hauptsächlich Verfahren der Chemolyse oder Pyrolyse als Lösungsansätze erforscht. Die Chemolyse stellt einen Prozess dar, in dem die Polymerketten in einem Lösungsmittel gebrochen werden, im Rahmen der Pyrolyse werden die Polymerketten durch Temperatureinwirkung zu Fragmenten gebrochen, die verdampfen und kondensiert werden können. Die Entwicklung eines möglichst geeigneten Verfahrens erfordert bereits im frühen Stadium die Integration verschiedener Bewertungsansätze (bspw. Kosten, Primärenergiebedarf oder Life Cycle Assessment). Durch die Bewertungen können die verschiedenen Verfahren bezüglich Kosten und CO2- Emissionen verglichen werden und frühzeitig das vielversprechendste Verfahren ausgewählt werden. Aufgrund der Größe der Anlagen im globalen Maßstab, hohen Komplexität der Verfahren und der Unsicherheit externer Einflussfaktoren (bspw. Qualität der Rückflüsse aus Abfall) erfordert die Entwicklung einen hohen Zeitaufwand und die Bewertung unter verschiedensten Gesichtspunkten (wie bspw. Wirtschaftlichkeit, Umweltfreundlichkeit, Durchführbarkeit, Risiko).

Bis dahin bleiben Sie gesund, Ihr Prosperkolleg-Team